Alle sieben Sekunden stirbt deutschlandweit ein Tier im Namen der Wissenschaft. Dass sich die Ergebnisse aus Tierversuchen häufig nicht auf den Menschen übertragen lassen, ist längst kein Geheimnis mehr. Warum werden Tierversuche dann überhaupt noch durchgeführt? Und was bedeutet das genau? Welche Alternativen gibt es? Hier finden Sie alle Informationen rund um das Thema Tierversuche, Forschung und tierfreie Testmethoden.
Ohne Tierversuche gäbe es doch keinen wissenschaftlichen Fortschritt?
Hochmoderne tierfreie Testmethoden erzielen eindeutige Fortschritte. So konnten Wissenschaftler beispielsweise durch die Nutzung sogenannter „Hirn-Organoide“, also 3D-Modellen aus menschlichen Zellen, eine potenzielle Ursache für tödliche Hirnmissbildungen finden, die durch eine seltene genetische Störung ausgelöst werden. Die als Miller-Dieker-Syndrom bekannte Störung war zuvor bereits erfolglos an Mäusen erforscht worden. [1] Tierversuche untersuchen den falschen Organismus, denn die physiologischen Unterschiede zwischen Tier und Mensch sind gravierend. PETA fordert deshalb, dass die Finanzierung von Tierversuchen mit Milliarden an Steuergeldern eingestellt wird und die Entwicklung tierversuchsfreier Methoden endlich eine angemessene Förderung erhält.
Warum werden noch immer Tierversuche durchgeführt?
Es gibt mehrere Gründe, warum noch immer Tierversuche durchgeführt werden: Zum einen sind Tierversuche einfach zur Gewohnheit geworden, also ein klassischer Fall von „Das wurde schon immer so gemacht“. Teilweise sind Tierversuche auch gesetzlich vorgeschrieben, beispielsweise bei der Medikamentenentwicklung – obwohl 95 von 100 Medikamenten, die im Tierversuch erfolgreich sind, beim Menschen scheitern! [2] Hinzu kommt, dass Tierversuche in der Forschung leider noch fest verankert und damit an Forschungsgelder und Publikationen geknüpft sind. Somit dienen sie Wissenschaftlern oftmals als Mittel zum Zweck, wenn es darum geht, auf der Karriereleiter voranzukommen. Ein weiterer Grund ist die gewaltige Industrie, die hinter Tierversuchen steckt: Alleine der Inselstaat Mauritius, der weltweit zweitgrößte Exporteur von Affen zu Versuchszwecken, verdient jährlich 17 Millionen Euro mit dem grausamen Handel. [3]
Gibt es genügend Alternativen, um Tierversuche zu ersetzen?
Tierversuche finden im falschen Organismus statt, denn die Ergebnisse lassen sich kaum auf den Menschen übertragen. Die Lösung sind humanrelevante Methoden, also Verfahren, die für den Menschen aussagekräftige Ergebnisse hervorbringen. Dazu zählen beispielsweise sogenannte In-vitro-Methoden mit menschlichen Zellen oder Computersimulationen. Es gibt sogar Mini-Organe mit menschlichen Zellen oder Systeme wie „Human-on-a-chip“, welche die Funktion wesentlicher menschlicher Organsysteme nachstellen. So kann zuverlässiger als im Tierversuch getestet werden, welche Auswirkungen bestimmte Substanzen auf den menschlichen Organismus haben. Es gibt bereits viele tierfreie Methoden, doch leider wird deren Weiterentwicklung und Etablierung viel zu wenig finanziell unterstützt. Die Fördergelder für Alternativmethoden müssen endlich gerechter verteilt werden.
Auch in der Forschung zum Coronavirus gibt es vielversprechende Beispiele, die ohne Tierversuche auskommen.
Werden Versuche an Menschen durchgeführt, wenn es keine Tierversuche mehr gibt?
Tierversuche bieten für den Menschen keine Sicherheit. Die Weiterentwicklung und Verwendung von tierfreien, für den Menschen relevanten Methoden hingegen würden die Medikamentenentwicklung effizienter und sicherer machen. Ein Beispiel für eine solche Methode ist der sogenannte „Human-on-a-chip“ – ein Modell des menschlichen Organismus, das mehrere sogenannte Organoide (Mini-Organe aus menschlichen Zellen) vernetzt. Solche Modelle werden beispielsweise von dem Berliner Unternehmen TissUse entwickelt. Mit deren Zwei-Organ-Chip konnte u. a. ermittelt werden, dass ein Diabetes-Mittel schädliche Auswirkungen auf die Leber hatte [4] – das Medikament war einige Jahre zuvor vom Markt genommen worden, weil sich diese Nebenwirkungen im Tierversuch nicht gezeigt hatten.
Da sich die Ergebnisse aus Tierversuchen unzuverlässig auf den Menschen übertragen lassen, ist jede klinische Studie – also der Einsatz eines neuen Wirkstoffs am Menschen vor seiner Zulassung – im Grunde ein „Menschenversuch“. Humanrelevante Methoden hingegen liefern aussagekräftige Ergebnisse und bieten daher mehr Sicherheit für den Menschen.
Wer darf Tierversuche überhaupt durchführen und werden diese nicht streng kontrolliert?
Um einen Tierversuch durchführen zu können, muss dieser bei einer Genehmigungsbehörde angezeigt oder genehmigt werden. Anzeigepflichtige Tierversuche müssen nur gemeldet und dürfen – ohne Rückmeldung – nach Ablauf einer Frist durchgeführt werden. Dazu zählen beispielsweise Giftigkeitstests und Tierversuche für die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Doch auch die Genehmigung bietet keinen ausreichenden Kontrollschritt: In Deutschland werden mehr als 99 Prozent der beantragten Tierversuche genehmigt! [5] Bei der Genehmigungspraxis verstößt Deutschland sogar gegen EU-Vorgaben, weswegen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet wurde. Einer der gröbsten Verstöße besteht darin, dass die Genehmigungsbehörde einen Tierversuchsantrag nicht selbstständig auf Unerlässlichkeit und ethische Vertretbarkeit prüfen darf, sondern sich auf die Informationen verlassen muss, die der Antragsteller ihr mitteilt. Skandale wie jene, die sich im LPT-Labor in Hamburg ereigneten, zeigen zudem, dass Kontrollen oft versagen.
Ist es gesetzlich vorgeschrieben, dass Tierversuche nur durchgeführt werden dürfen, wenn keine Alternativmethoden genutzt werden können?
Die EU-Richtlinie 2010/63, die Tierversuche regelt, besagt: „[…] Tiere [sollten] stets als fühlende Wesen behandelt werden, und ihre Verwendung in Verfahren sollte auf Bereiche beschränkt werden, die letztendlich einen Nutzen für die Gesundheit von Mensch und Tier oder für die Umwelt nach sich ziehen können. Der Einsatz von Tieren […] sollte deshalb nur dann erwogen werden, wenn es keine tierversuchsfreie Alternative gibt.“ Auch das deutsche Tierschutzgesetz legt fest: „Bei der Entscheidung, ob ein Tierversuch unerlässlich ist, sowie bei der Durchführung von Tierversuchen sind folgende Grundsätze zu beachten: […] Es ist zu prüfen, ob der verfolgte Zweck nicht durch andere Methoden oder Verfahren erreicht werden kann.“ [6] Also ja, das ist gesetzlich vorgeschrieben – die Realität sieht allerdings oft anders aus: Tierversuche werden oft aus reiner Neugierde durchgeführt, auch in Fällen, wo längst tierfreie Methoden vorhanden sind.
Verhindert die sogenannte Ethikkommission Tierquälerei an den Einrichtungen nicht?
Sogenannte Ethik- oder Tierversuchskommissionen bestehen meist nur zu einem Drittel aus Vertretern des Tierschutzes. Die übrigen zwei Drittel sind Vertreter der Wissenschaft, die oft selbst Tierversuche durchführen, Teil der Tierversuchsindustrie sind und kein Interesse an einer Reduktion von Tierversuchen haben. Selbst als Tierschutzvertreter werden oft Personen rekrutiert, die selbst direkt in Tierversuche verwickelt sind. Da kritische Stimmen somit zahlenmäßig unterlegen sind, stimmt die Kommission nur selten gegen einen Tierversuchsantrag. Außerdem trifft die eigentliche Entscheidung die Genehmigungsbehörde, die Kommission hat lediglich beratenden Charakter.
Hinzu kommt, dass die Kommissionsmitglieder einer strikten Schweigepflicht unterliegen – sowohl die Besetzung der Kommissionen als auch der Genehmigungsprozess an sich ist dadurch sehr intransparent und Fehlentscheidungen gelangen nicht an die Öffentlichkeit. Bei einzelnen Genehmigungsanträgen gelingt es den Kommissionen vielleicht, die Anzahl der Tiere zu reduzieren oder deren Leid zu verringern. Die derzeitige Genehmigungspraxis hat jedoch wenig mit einer tatsächlichen ethischen Abwägung zu tun und ist lediglich eine bürokratische Hürde – abgelehnt werden in Deutschland weniger als 1 % der Tierversuchsanträge. [5, 7]
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Quellen
[1] https://www.sciencedaily.com/releases/2017/02/170207110643.htm; Bershteyn, M. et. al (2017): Human iPSC-Derived Cerebral Organoids Model Cellular Features of Lissencephaly and Reveal Prolonged Mitosis of Outer Radial Glia, Cell Stem Cell, vol. 20, pp. 421-422
[2] National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS). About NCATS. https://ncats.nih.gov/about. Aufgerufen am: 23.04.2020.
[3] FAZ. Vertreibung aus dem Paradies. https://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/tierversuche-auf-mauritius-vertreibung-aus-dem-paradies-15647058.html. Aufgerufen am: 23.04.2020.
[4] SZ. Raus aus dem Labor. https://www.sueddeutsche.de/wissen/biomedizin-raus-aus-dem-labor-1.4751550. Aufgerufen am 23.04.2020.
[5] Strittmatter, S.: Applications for animal experiments are rarely rejected in Germany. ALTEX 2019; 36(3): 470-471.
[6] Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere. https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:32010L0063&from=DE. Aufgerufen am 23.04.2020.
[7] Gericke, C. et. al., 2011: „Was Sie schon immer über Tierversuche wissen wollten“, Echoverlag