Stendal will Nutrias töten lassen – PETA appelliert an Stadt

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Ende Januar 2021 wurde bekannt, dass die Stadt Stendal in Sachsen-Anhalt plant, die im Stadtpark angesiedelten Nutrias mit Lebendfallen wegen „Bodenschäden“ zunächst einzufangen und anschließend von einem Jäger „tierschutzgerecht töten“ zu lassen. Als Grund nennen die Verantwortlichen, dass die Tiere Schäden an Uferböschungen verursachen, durch die bereits Menschen in Gefahr gerieten. [1]

Nutrias in Stadtgebieten – immer mehr Tiere werden gejagt

Die im Stadtpark in Stendal lebenden Nutrias sollen mithilfe von Lebendfallen gefangen und anschließend durch Jäger getötet werden. Der Rathaussprecher gab an, dass die gefangenen Nutrias von einem Jäger samt Käfig mitgenommen und anschließend „tierschutzgerecht getötet“ werden sollen. Wir von PETA Deutschland baten den Oberbürgermeister, von der Maßnahme abzusehen und stattdessen auf tierfreundliche Maßnahmen zurückzugreifen.

Am 10. Februar erhielten wir ein Antwortschreiben im Namen des Oberbürgermeisters Klaus Schmotz. Die Hansestadt Stendal beschäftige sich seit längerer Zeit mit den im Stadtgebiet angesiedelten Tieren und möchte an dem Plan festhalten, die Nutrias einfangen und töten zu lassen. In dem Antwortschreiben heißt es, dass Maßnahmen wie Fütterungsverbote für Wildtiere bisher nicht den gewünschten Effekt erzielen konnten, sodass die Stadt die Bejagung mit Lebendfallen und anschließender Tötung durch einen Jäger als einzig wirkungsvolle Methode erachtet, um die Nutriapopulationen in Stendal zu kontrollieren.

Laut Antwort des Oberbürgermeisters gefährden Nutriabaue an den Uferböschungen Menschen und die Installation von Drahtgeflechten zur Abwehr sei für den kommunalen Haushalt nicht vertretbar. Fütterungsverbote für Wildtiere und andere Maßnahmen hätten bisher nicht gegriffen. Wir appellieren nun an die Stadt, dem Leben der Nutria eine höhere Priorität einzuräumen als einem überschaubaren Geldbetrag.

Nutrias haben ebenso ein Recht auf ein unversehrtes Leben wie wir Menschen. Sollte durch die Nutriabaue tatsächlich im Einzelfall die Gefahr bestehen, zu stolpern oder im Boden stecken zu bleiben, kann die Stadt auch zusätzlich mit entsprechenden Warnschildern oder einer Absperrung reagieren, statt die Tiere zu töten.“

Peter Höffken, PETA Deutschland

Getötete Tiere werden schnell durch Nachzügler ersetzt

Sollten die Nutrias getötet werden, ist es wahrscheinlich, dass sich in einiger Zeit wieder eine Population ansiedelt. Eine friedliche Koexistenz sollte daher das Ziel behördlicher Maßnahmen sein.

Nutrias unterliegen nicht dem Jagdrecht – nach Bundesnaturschutzgesetz (Paragraf 39, Absatz 1) heißt das, dass für das Fangen oder Töten von Nutrias ein vernünftiger Grund vorliegen muss. Das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) in Nordrhein-Westfalen empfiehlt, die Fütterungen in Parks und naturnahen Gewässern zu verhindern, um den Anstieg von Nutriapopulationen nicht zusätzlich zu fördern. Das LANUV betont außerdem, dass lokale mechanische Schutzmaßnahmen wie Drahtgeflechte dem Fallenfang bzw. der Bejagung und Tötung der Tiere vorzuziehen sind. [2] Sämtliche tierfreundliche Abwehrmaßnahmen müssen vollständig ausgeschöpft werden, bevor die Tiere gejagt und getötet werden. Tierfreundliche Vergrämungsmaßnahmen sind zwar meist teurer als das Fangen und Töten der Nagetiere – langfristig sind solche Methoden jedoch nachhaltiger und bewahren zahlreiche Tiere vor einem vermeidbaren Tod. Eine unnötige Bejagung der Nutrias würde in der Bevölkerung zu Recht vermutlich zu massiven Gegenprotesten führen.

Nutrias – zur Zucht nach Deutschland eingeschleppt, ausgewildert und gejagt

Nutriapopulationen unterliegen einer hohen natürlichen Selbstregulation – vor allem, da sie empfindlich auf Witterungsextreme reagieren. Die Nutria hat sich in den vergangenen 70 Jahren deutschlandweit kontinuierlich ausgebreitet und kommt heute in fast allen Bundesländern in regional sehr unterschiedlichen Zahlen vor. Ursprünglich stammen Nutria aus Südamerika, zur Gründung von Zuchten wurden die Tiere jedoch nach Europa gebracht [3] – sie werden als „Neozoen“ bezeichnet. Einigen Nutrias gelang die Flucht aus den Zuchtanlagen, andere Tiere wurden absichtlich freigelassen: Wildlebende Nutrias sollten bejagbare Populationen aufbauen [4] und zur biologischen Bekämpfung des Schilfwachstums für die Binnenwasserwirtschaft beitragen. [5] Zahlreiche Nutrias wurden daher illegalerweise in Teichwirtschaften ausgesetzt. Auch „unwirtschaftliche“ Bestände wurden auf diese Weise freigelassen. [6]

Nutrias ernähren sich rein pflanzlich: Ihre Nahrung besteht hauptsächlich aus Wasserpflanzen, Süßgräsern und Kräutern, im Winter auch aus Wurzeln und Rinde. [7] In seltenen Fällen verzehren Nutrias auch Feld- und Gartenfrüchte. [8] Weil Nutrias keine Vorräte anlegen, leiden sie besonders unter anhaltender Kälte – extreme Kälteperioden können zum Zusammenbruch ganzer Populationen führen. [7]

In der Natur werden Nutrias höchstens drei Jahre alt; die Mortalitätsrate liegt im Jahr zwischen 60 und 80 Prozent: [3] In Deutschland ließen sich wiederholt hohe Populationseinbrüche auf Kälte zurückführen. [6] Andere Tierarten können durch die Anwesenheit von Nutrias profitieren: So wirkt sich ihre Anwesenheit positiv auf das Vorkommen verschiedener Vogelarten aus, weil Nutrias die Lebensräume der Vögel verändern, sie lockern beispielsweise die Überwasservegetation auf. Außerdem wurde beobachtet, dass die Anzahl an Karpfen in Teichen, an denen Nutrias ausgesetzt worden waren, um das Sechsfache anstieg. [5]

Außerdem stehen Nutrias nicht in Konkurrenz zum heimischen Biber, verdrängen aber auf natürlichem Weg die sich stark ausbreitende Bisamratte, was Wissenschaftler als positiv erachten. [8, 9] Nutrias leben semiaquatisch, das heißt, sie sind an Gewässer gebunden, jedoch kaum an bestimmte Gewässertypen und Güteklassen. Sie bevorzugen Gewässer in offenen Landschaften und meiden bewaldete Gebiete. In einigen Städten und Regionen dient die Anwesenheit von Nutrias dem Anlocken von Touristen, beispielsweise in der Kupferstadt Hettstedt und in Brandenburg. [10]

Was Sie tun können

  • Informieren Sie sich über die Jagd. Klären Sie Ihre Freunde, Bekannten und Familie darüber auf, warum die Jagd kontraproduktiv und Tierquälerei ist.
  • Falls Sie ein Grundstück besitzen, stellen Sie bitte einen Antrag auf jagdliche Befriedung und machen Sie Ihr Grundstück zu einem sicheren Rückzugsort für Wildtiere.
  • Erfahren Sie die Wahrheit über die größten Jagdirrtümer:
  • Quellen

    [1] Hertzfeld, Marco (2021): Reißleine: Nutria in Stendal geht es an den Kragen, https://www.az-online.de/altmark/stendal/nutria-geht-es-an-den-kragen-90178715.html, (eingesehen am 01.03.2021)

    [2] LANUV NRW (2017): Naturschutzinformationen, http://neobiota.naturschutzinformationen-nrw.de/site/nav3/ArtInfo.aspx?ART=Tiere&ID=2b178c0d-dbba-4920-a9a6-7e3e580ddf83&MENU=Ma%C3%9Fnahmen, (eingesehen am 01.03.2021)

    [3] Leblanc, D.J. (1994): Nutria. In: Hygnstrom, S. E., Timm, R.M. & Larson, G.E. (Hrsg.): Prevention and control of wildlife damage. 2. Aufl., Lincoln NE: University of Nebraska Cooperative Extension (B, Rodents), B 71 – B 80.

    [4] Kinzelbach, R. (2002): Nutria, Sumpfbiber – Myocastor coypus (MOLINA 1782). In: Geiter, O., Homma, S. & Kinzelbach R.: Bestandsaufnahme und Bewertung von Neozoen in Deutschland.

    [5] Artensteckbriefe. Texte des Umweltbundesamtes 25, 12-20. EHRLICH, S. (1969): Zur Verhaltensweise von Sumpfbibern (Myocastor coypus). Insbesondere zur Besiedlungsdichte und deren Selbstregulierung. Dissertation. Gießen, S. 125.

    [6] Müller-Using, D. (1965): Das Vorkommen der Nutria Deutschland. Zeitschrift für Jagdwissenschaft, 11 (4), 161–164.

    [7] Merkblatt Nr. 1 „Die Nutria“ aus der neuen Reihe Jagd und Wild in Baden-Württemberg, die von der Wildforschungsstelle des Landes Baden-Württemberg 1997 WFS-MITTEILUNGEN Nr. 2/1997.

    [8] Caroline Biela – Die Nutria (Myocastor coypus MOLINA 1782) in Deutschland – Ökologische Ursachen und Folgen der Ausbreitung einer invasiven Art Diplomarbeit am Lehrstuhl für Landschaftsökologie der Technischen Universität München, Wissenschaftszentrum Weihenstephan Dezember 2008.

    [9] Biologische Fakultät der Universität Bielefeld. Online unter http://kolumbus-youth.biologie.uni-bielefeld.de/Biberratte.html

    [10] Heidecke, D. & Rieckmann, W. (1998): Die Nutria – Verbreitung und Probleme – Position zur Einbürgerung. Naturschutz und Landschaftspflege in Brandenburg, 1, 77-78.