Können Muscheln Schmerzen spüren? 3 Hinweise auf ein Schmerzempfinden

Teilen:

Bei einigen Weichtieren wie Kraken ist längst bekannt, dass sie Schmerz empfinden und zudem gelten sie als die intelligentesten Wirbellosen im Tierreich [1] – aber wie sieht es eigentlich bei Muscheln aus? Tut es ihnen weh, wenn sie gekocht werden?

Unzählige Tiere landen jedes Jahr als „Meeresfrüchte“ in Restaurants auf unseren Tellern, doch kaum jemand stellt sich die Frage, ob diese „Schalentiere“ fühlen. Lesen Sie in diesem Beitrag, weshalb Muscheln die Kriterien für das Vorhandensein eines Schmerzempfindens erfüllen.

Schmerzempfinden von Tieren: Spüren Muscheln Schmerzen?

Tiere sind emotionale Lebewesen. Wenn sie in Not sind, empfinden sie Angst, wenn es Tieren gut geht, empfinden sie Wohlbehagen. Da nicht-menschliche Tiere nicht unsere Sprache sprechen, können sie uns nur schwer ihr Befinden mitteilen. Es gibt jedoch verhaltensbezogene und physiologische Reaktionen, die als wissenschaftliche Anhaltspunkte für das Vorhandensein eines Schmerzempfindens gelten [2]:

  • Das Tier hat Nervenzellen und Sinnesrezeptoren.
  • Das Tier verfügt über sogenannte Opioidrezeptoren. Das bedeutet, dass sich die Reaktion auf schädliche Reize nach Gabe von Schmerzmitteln verringert.
  • Bei Schädigung zeigt das Tier Abwehr- und Schutzreaktionen in Form von Zuckungen, Hinken, Reiben, Lautäußerungen, Flucht.

Diese drei Kriterien sind auch bei Muscheln erfüllt:

Muscheln haben Nervenzellen und Sinnesrezeptoren: Ihr Nervensystem umfasst zwei Paar Nervenstränge und drei Paar Hauptganglien, die unterschiedliche Körperabschnitte innervieren. [3] Zudem wurden bei Muscheln auch Nozizeptoren nachgewiesen. [4] Diese sensorischen Nervenenden sind für die Auslösung von Schmerz- und Schutzreflexen verantwortlich.

Eine Jakobsmuschel steckt im Sand unter Wasser.
Die Empfindungsfähigkeit von wirbellosen Tieren wie Muscheln wird noch immer unterschätzt.

Muscheln besitzen Opiatrezeptoren und Opiatpeptide, die für die Schmerzwahrnehmung und Schmerzunterdrückung zuständig sind. [5] Opiatrezeptoren sind in Bereichen lokalisiert, in denen Schmerzempfindungen und Gefühlsbewegungen wahrgenommen werden. Opiatpeptide lagern sich an die Rezeptoren für Morphin (und andere Opiate) an und verursachen morphinähnliche Wirkungen, wie beispielsweise Schmerzlinderung. Angenommen, Muscheln hätten nur einen reflexhaften Überlebensinstinkt – warum bräuchten sie dann Opiatpeptide?

Muscheln reagieren auf Stress und zeigen Flucht- und Schutzverhalten: Eine Studie hat gezeigt, dass verschiedene Austernarten unterschiedlich auf Hitzestress reagieren. [6] Das gilt übrigens auch für die Miesmuschel. [7] In einer Studie von Robinson et al. (2014) wurde zudem festgestellt, dass Austern in Anwesenheit von Essfeinden Schalen ausbilden, die mehr Kraft erfordern, um sie zu zerdrücken, und dadurch besser vor ihnen geschützt sind. [8]

Muscheln reagieren auch mit Schutzreaktionen, meist indem sie ihre Schalen schließen, wenn sich „Beutegreifer“ nähern, zum Beispiel Seesterne. Auch wenn Menschen eine Muschel berühren, um sie von einem Felsen zu lösen oder sie aus dem Wasser zu holen, fühlt sich das Tier bedroht und schließt sekundenschnell die geöffneten Schalen, um seinen Körper zu schützen.

Einige Muschelarten verfügen über Augen und chemosensorische Organe, die sich am Rand des Mantels befinden – und wenn sie eine Bedrohung erkennen, beginnen sie zu flüchten, indem sie wegschwimmen. Das bedeutet, dass auch hier eine Integration von Informationen und eine Entscheidungsfindung stattfindet. Das Fluchtschwimmen einer Jakobsmuschel, die bis zu 200 Augen besitzt, erfolgt in der Regel nach einem Kontakt mit einem Seestern, zu dessen Leibspeise sie gehört.  

Eine Riesenmuschel an einem Riff, vor der ein kleiner gelber Fisch schwimmt.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch Muscheln Schmerz empfinden können.

Muscheln zeigen ein vielfältiges Abwehrverhalten bei Gefahr und auch andere Kriterien für das Vorhandensein eines Schmerzempfindens sind erfüllt. Wer Muscheln also kocht, setzt die Tiere minutenlangen Qualen aus. Denn genau wie Hummer werden Muscheln meist lebend verkauft und bei vollem Bewusstsein in kochendes Wasser gesetzt.

Warum sollte man keine Muscheln essen?

Austern, Miesmuscheln und Co. sind Lebewesen, die das Recht auf ein leidfreies Leben haben. Folglich sollten wir als Menschen ihre Bedürfnisse respektieren. Doch wie Fische werden auch Muscheln zu Tausenden in Aquakulturen gezüchtet und gehalten.

Da es sich bei Aquakulturen – genau wie bei Landtieren – um eine industrielle Form der „Massentierhaltung“ handelt, sind tierschutzwidrige Umstände an der Tagesordnung:

  • Gewalt: In der Zucht gehen die Mitarbeitenden oft gewaltsam vor, brechen oder schneiden die Schalen auf und töten so das Tier.
  • Unnatürliche Lebensbedingungen und verkürzte Lebenszeit: Austern leben vorwiegend auf dem Meeresboden in Küstengewässern und Flussmündungen. Normalerweise leben sie in Gewässern mit einer Tiefe von bis zu 30 Metern, es wurde aber auch schon festgestellt, dass sie in einer Tiefe von bis zu 80 Metern überleben können. Wenn sie wachsen, bilden sie felsenartige Riffe, die lebenswichtige Lebensräume für andere Meeresbewohner darstellen. Einheimische Austern werden in der Regel fünf bis zehn Jahre alt, es gibt aber auch Exemplare, die bis zu 30 Jahre alt werden. In der Aquakultur leben sie in flachem Wasser und ihre Lebensdauer ist stark verkürzt.
  • Ethische Bedenken und Umweltverschmutzung: Die Tiere werden benutzt und getötet, zudem verschmutzt und verschandelt jegliche Aquakultur die Küstengewässer.

Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Stress einen tiefgreifenden Einfluss auf die Immunfunktion von Austern haben kann – dies könnte erklären, warum Stress und der Ausbruch von Krankheiten in der Muschelzucht häufig miteinander verbunden sind.

Welche veganen Alternativen zu Muscheln gibt es?

Eine vegane Ernährung basiert auf pflanzlichen Lebensmitteln. Muscheln sind jedoch Weichtiere und somit nicht vegan. Eine Alternative ist das Austernblatt, international bekannt unter der Bezeichnung Oysterleaf oder Oysterplant. Diese auch „Meeres-Glockenblume“ genannte Pflanze bekommt zwischen Juni und August schöne blaue Blüten und ihre Blätter schmecken nach „meeresfrischem Austerngeschmack.“ [9]

Zudem gibt es auch Anbieter von veganen „Jakobsmuscheln“ und Rezepte zum Nachkochen.

Entdecken Sie weitere vegane Meeresgerichte

Muscheln sind faszinierende Tiere. Beobachten Sie sie am Strand, jedoch ohne ihnen Stress auszusetzen. Werden welche mit den Gezeiten angeschwemmt und sind vom Austrocknen bedroht, bringen Sie die Muscheln zurück ins Wasser.

Essen Sie bitte statt Muscheln und anderen Tieren vegane Alternativen mit Meeresgeschmack. Probieren Sie sich doch mal durch und entdecken Sie Ihr neues Lieblingsessen!

  • Quellen

    [1] Godfrey-Smith, Peter (2016): Other Minds: The Octopus, the Sea, and the Deep Origins of Consciousness, Farrar, Straus & Giroux.

    [2] Sneddon, L. U., Elwood, R. W., Adamo, S. A., & Leach, M. C. (2014): Defining and assessing animal pain. Animal Behaviour, 97, 201-212.

    [3] Mark E. Siddall, Invertebrates.—R.C. Brusca and G. J. Brusca. 2003. Sinauer Associates, Sunderland, Massachusetts. xix + 936 pp. ISBN 0–87893–097–3. $109.95(cloth)., Systematic Biology, Volume 53, Issue 4, August 2004, Pages 664–666, https://doi.org/10.1080/10635150490472968 (eingesehen am 17.07.2024)

    [4] Crook, R. J. and Walters, E. T. (2011), Nociceptive behavior and physiology of molluscs: animal welfare implications. ILAR J. 52, 185-195, https://doi.org/10.1093/ilar.52.2.185 (eingesehen am 17.07.2024)

    [5] Kream RM, Zukin RS, Stefano GB. (1980), Demonstration of two classes of opiate binding sites in the nervous tissue of the marine mollusc Mytilus edulis. Positive homotropic cooperativity of lower affinity binding sites. J Biol Chem. 1980 Oct 10;255(19):9218-24. PMID: 6251079, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/6251079/ (eingesehen am 17.07.2024)

    [6] Fu H, Jiao Z, Li Y, Tian J, Ren L, Zhang F, Li Q, Liu S. (2021), Transient Receptor Potential (TRP) Channels in the Pacific Oyster (Crassostrea gigas): Genome-Wide Identification and Expression Profiling after Heat Stress between C. gigas and C. angulata. Int J Mol Sci. 2021 Mar 22;22(6):3222, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33810107 (eingesehen am 17.07.2024)

    [7] Patrick Cadet, Wei Zhu, Kirk J Mantione, Geert Baggerman, George B Stefano (2002),

    Cold stress alters Mytilus edulis pedal ganglia expression of μ opiate receptor transcripts determined by real-time RT-PCR and morphine levels. Molecular Brain Research, Vol 99 (1), p. 26-33, https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0169328X01003424 (eingesehen am 17.07.2024)

    [8] Robinson, E.M., J. Lunt, C.D. Marshall, and D.L. Smee, (2014). Eastern oysters Crassostrea virginica deter crab predators by altering their morphology in response to crab cues. Aquatic Biology 20:111–118, https://doi.org/10.3354/ab00549 (eingesehen am 17.07.2024)

    [9] Kinara: Austernblatt Saatgut, https://www.kinara-gemuese.de/online-shop/spezielles/austernblatt-saatgut/ (eingesehen am 10.07.2024)