Ingrid Newkirk: Auch mit 70 so radikal wie eh und je

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In den meisten Unternehmen wäre es wohl ein Kündigungsgrund, per E-Mail nach Nacktbildern seines Chefs zu fragen. Bei PETA ist das Teil eines ganz normalen Arbeitstags.

Denn meine Chefin ist die berühmt-berüchtigte Tierrechtlerin Ingrid Newkirk.

Sie ist freundlich und höflich – was vermutlich durch ihren britischen Akzent verstärkt wird. Doch wenn es sein muss, ist sie hart wie Stahl. Ingrid scheut nie davor zurück, klare Worte zu finden oder ein Statement zu setzen – ganz gleich, ob sie sich ausziehen soll, ein Auto anzündet, Anna Wintours Büro übernimmt oder sich ins Gefängnis werfen lässt.

Hier nur 10 Beispiele dafür, wie Ingrid sich furchtlos gegen Tierquälerei stark gemacht hat:

70 Jahre sind kein Grund, sich nicht mehr auszuziehen

PETA wurde mit der Kampagne „Lieber nackt als im Pelz“ weltberühmt. Ingrid verlangte von ihren Angestellten (oder Supermodels, Schauspielern, Rappern und Sportlern) nie etwas, das sie nicht selbst auch tun würde. Also hat sie sich unzählige Male ausgezogen, um gegen Pelz, Leder, Fleisch etc. zu protestieren. Und auch jetzt, mit 70, gibt es für sie keinen Grund, damit aufzuhören.

Für ein Anzeigenmotiv ließ sie sich auf einem Markt in London neben den Leichen von Schweinen an einen Fleischerhaken hängen, um zu zeigen, wie ähnlich sich Menschen und andere Tiere sind.
 

„Es war sehr kalt“, erinnert sich Ingrid. „Und es war quasi unmöglich, an diesem Haken zu hängen. Dein ganzes Körpergewicht hängt an deinen Händen. Ich zog mich einfach aus, schnappte mir den Haken und hing dort. Mir war klar, dass es Menschen geben würde, die das Motiv anstößig finden. Tiere sind genau wie wir, was ihren Körper und ihre Gefühle anbelangt. Wir müssen die Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken. Ich hatte noch überlegt, ob wir nicht auch noch die Schreie von Schweinen (im Schlachthaus) einspielen sollten, aber das wäre einfach zu viel gewesen.“

Sie gründete die erste Kastrationsklinik und das erste Adoptionsprogramm in Washington, D.C. und stoppte den Verkauf von Tieren aus Tierheimen an Versuchslabore

Für heutige Verhältnisse mag das nicht besonders revolutionär klingen. Aber in den 70er-Jahren waren Kastrationskliniken und Adoptionsprogramme in Tierheimen noch unbekanntes Terrain. Als erste weibliche Leiterin eines Tierheims in Washington, D.C. drückte Ingrid ein Gesetz durch, das dafür sorgte, dass öffentliche Gelder für Kastrationen und tierärztliche Versorgung bereitgestellt wurden. Sie stoppte den Verkauf von Tieren an Laboratorien und gründete in „ihrem“ Tierheim ein Adoptionsprogramm für obdachlose Tiere. Für ihr Engagement wurde sie zur Washingtoner Person des Jahres gewählt.
 

Sie zündete vor einer Autoausstellung von General Motors ein Auto an

General Motors (GM) war der letzte verbleibende Autohersteller, der für Unfalltests noch Primaten, Schweine, Hunde, Frettchen, Mäuse und Ratten einsetzte. Das Unternehmen weigerte sich, in Zusammenarbeit mit PETA USA humane Testmethoden einzuführen, z. B. computergesteuerte Modelle. Deshalb „bearbeiteten“ Mitglieder von PETA USA vor Firmenveranstaltungen gespendete GM-Fahrzeuge mit einem Vorschlaghammer und ketteten sich bei Autoausstellungen mit Handschellen an Autos. Prominente weigerten sich, Werbespots für GM zu drehen. Und unsere Mitglieder unterschrieben Petitionen, in denen sie erklärten, keine Autos des Unternehmens mehr zu kaufen. PETA war in jedem einzelnen Land vor Ort, in dem GM eine Veranstaltung abhielt. Bei einer Aktion versammelte sich eine Menschenmenge, nachdem Ingrid ein gespendetes Auto in Flammen gesetzt hatte. Das Gleiche tat sie bei zwei weiteren Ausstellungen. Nach 18 Monaten unablässiger, öffentlichkeitswirksamer Aktionen gegen die Tierquälerei bei GM stellte das Unternehmen alle Unfalltests an Tieren ein. Damit war die grausame Praxis weltweit abgeschafft.

Sie ging 15 Tage ins Gefängnis, um eine Stadt Geld zu kosten

Die Stadt Hegins im US-Bundesstaat Pennsylvania veranstaltete ein Taubenschießen, bei dem 5.000 Vögel eingefangen, tagelang ohne Nahrung und Wasser in winzige Käfige gesteckt und dann – krank, geschwächt und desorientiert – freigelassen wurden. Anschließend konnten die Teilnehmenden auf die Tiere schießen. Vögel, die verwundet, aber nicht sofort tot waren, fielen zu Boden, und die Kinder der Teilnehmenden traten sie tot oder drehten ihnen den Hals um. 1992 protestierten rund 2.000 Tierrechtlerinnen und Tierrechtler gegen diese Veranstaltung. Ingrid führte 40 von ihnen auf das Feld, um das Abschießen der Tauben zu stoppen. Sie griffen sich Käfige, in denen noch Vögel saßen und sammelten auch die verletzten Tiere ein. Als die Gruppe festgenommen wurde, entschied man sich, keine Strafe zu zahlen, sondern ins Gefängnis zu gehen. Denn das würde die Stadt jede Menge Geld kosten, und die Veranstaltung wäre mit allen nötigen Sicherheitsvorkehrungen und der folgenden Gefängnisunterbringung – so die Hoffnung – langfristig zu teuer.
Das Taubenschießen von 1992 kostete den Steuerzahler 300.000 Dollar – die Veranstaltung wurde kurz darauf eingestellt.
 

Sie zerriss eine Lederjacke bei Gap

Ingrid hatte bei einer Untersuchung der indischen Lederindustrie Erschreckendes herausgefunden: Kühen wurde der Schwanz gebrochen, man rieb ihnen Chilischoten in die Augen und quälte sie auf vielerlei Art und Weise. PETA USA legte diese Beweise diversen Unternehmen vor und forderte sie auf, kein Leder mehr aus Indien oder China zu beziehen. Die US-amerikanische Modemarke Gap weigerte sich. Also startete PETA USA eine Kampagne, in deren Rahmen Ingrid zusammen mit der Musiklegende Chrissie Hynde das Schaufenster des Flagship-Stores der Marke in New York stürmten. Ingrid zerriss eine Lederjacke und zeigte der Menschenmenge vor dem Schaufenster, dass auf der Haut noch immer Peitschenabdrücke zu sehen waren. Kurz darauf stellte Gap Ledereinkäufe aus Indien und China ein. Auch J.Crew und Liz Claiborne folgten diesem Beispiel.

Mit der ersten Augenzeugenermittlung ihrer Art und den Affen von Silver Spring prägte Ingrid den Begriff „Tierrechte“

Im Sommer 1981 entschieden sich Ingrid und ein weiterer PETA-USA-Gründer, das unvorstellbare Tierleid aufzudecken, das hinter verschlossenen Labortüren stattfindet. Es war die erste Augenzeugen-Ermittlung der Tierrechtsbewegung. Ingrids Kollege heuerte am Institut für Verhaltensforschung an – einem staatlich finanzierten Labor in Silver Spring im US-Bundesstaat Maryland. Dort wurden Affen die Spinalnerven durchtrennt, um ihre Gliedmaßen teils unbrauchbar zu machen. Mit Elektroschocks, durch Nahrungsentzug und mit anderen grausamen Methoden zwang man die Tiere dann, alles ihnen mögliche zu versuchen, um die behinderten Gliedmaßen doch wieder zu gebrauchen. 

Ein fachkundiger Zeuge ging nachts in das Labor. Ingrid hatte sich auf dem Parkplatz in einem Karton versteckt und hielt von dort aus Ausschau, um sich per Funkgerät zu melden, sollte sich jemand dem Labor nähern. Als die Fotos und Videos der Affen schließlich an die Öffentlichkeit gingen, löste das einen Sturm der Entrüstung aus. Die Ermittlung brachte PETA USA, das Thema Tierrechte und das Grauen hinter Tierversuchen auf die Fernsehbildschirme und Titelseiten der USA.
 

Die Ermittlung war bahnbrechend. Zum ersten Mal wurde ein Experimentator wegen Tierquälerei festgenommen und verurteilt. Zum ersten Mal wurden misshandelte Tiere aus einem Labor konfisziert. Und zum ersten Mal konnte vor dem obersten Gerichtshof der USA ein Sieg für in Tierversuchen misshandelte Tiere errungen werden. Außerdem wurde das Tierschutzgesetz ergänzt, und die Öffentlichkeit stand Tierversuchen plötzlich wesentlich kritischer gegenüber. Der Fall machte deutlich, welche Macht Augenzeugenermittlungen besitzen und wie wichtig sie sind, um für Gerechtigkeit zu kämpfen. Das Recht darauf verteidigt das Juristenteam von PETA USA heute erneut, da Lobbygruppen versuchen, derartige Ermittlungen zu kriminalisieren.
 

Sie klebte einen „Meat Stinks“-Sticker auf ein Polizeiauto

Als ein paar Polizisten gerade in einem Restaurant aßen, witterte Ingrid ihre Chance und klebte schnell einen Aufkleber mit der Aufschrift „Meat Stinks“ auf deren Streifenwagen. Ein anderer Polizist fuhr vorbei, erwischte sie und brachte sie direkt ins Gefängnis. Der berühmte Bürgerrechtsanwalt Philip Hirschkop (bekannt durch den Fall Loving v. Virginia) argumentierte jedoch, Ingrid habe lediglich ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausgeübt. Der Richter zeigte Mitgefühl und wies die Klage ab.

Sie ließ sich vor eine Kutsche spannen

In Mumbai ließ sich Ingrid vor eine Pferdekutsche spannen – inklusive Gebiss – und zog vor den Augen der Passantinnen und Passanten ihr Gespann durch die unerbittliche Hitze. Denn genauso ergeht es vielen Pferden. Dank PETAs Kampagnen hat Mumbai – wie viele weitere Städte weltweit – Pferdekutschen mittlerweile verboten. 

Sie stürmte Anna Wintours Büro und ging an ihr Telefon

Um Anna Wintour dazu zu bewegen, sich endlich von Pelz zu distanzieren, hatte PETA der Vogue-Herausgeberin waren immer wieder köstliche vegane Kuchen zukommen lassen – doch leider ohne Erfolg. Deshalb stürmten Ingrid, weitere PETA-Mitglieder und Kate Pierson von den B-52’s das New Yorker Büro der Zeitschrift, vorbei an allein Sicherheitsleuten, um dagegen zu protestieren, dass die Vogue noch immer Pelz unterstützt. Wintour ergriff die Flucht und verbarrikadierte sich in einem Hinterzimmer. Also übernahm Ingrid die Rezeption und meldete sich am Telefon mit den Worten: „Wir haben heute wegen Tierquälerei geschlossen.“

Sie will nach ihrem Tod gegrillt werden

Selbst nach ihrem Tod will Ingrid dafür sorgen, dass das Thema Tierrechte auf die Titelseiten kommt. In ihrem Testament ist festgehalten, dass verschiedene Teile ihres Körpers genutzt werden sollen, um Tierleid anzuprangern. Ihr Fleisch soll zum Beispiel bei einem „Menschen-Barbecue“ gegrillt werden. Ihre Haut wird zu einer Geldbörse und anderen Lederprodukten verarbeitet. Damit möchte Ingrid deutlich machen, dass wir alle die gleichen Körperteile besitzen und niemand für ein Steak oder einen Schuh sterben will. Ihr Echsen-Tattoo wird entfernt, damit daraus das erste Accessoire aus „Exotenleder“ hergestellt werden kann, zu dem der Träger eingewilligt hat. Eines ihrer Augen wird der US-Umweltschutzbehörde zugeschickt, um sie daran zu erinnern, dass PETA USA so lange ein wachsames Auge auf sie haben wird, bis die Behörde ihre nutzlosen Tierversuche einstellt. Ingrids Leber wird in Frankreich als Protest gegen die Zwangsfütterung von Gänsen und Enten für Foie gras öffentlich ausgestellt.
 

„Warum immer so dramatisch?“, werden Sie vielleicht fragen. Nun ja, Tatsache ist doch, dass niemand einen Artikel lesen wird, dessen Überschrift „Ingrid Newkirk wird 70 und trifft sich immer noch mit Unternehmen“ lautet, oder? (Obwohl sie das natürlich auch tut, und nicht gerade selten.)

„Wir müssen die Menschen zum Nachdenken anregen“, erklärt Ingrid.

„Denn den meisten von uns wurde beigebracht, nicht über all das nachzudenken, was mit Schweinen, Hühnern, Affen, Ratten, Bären und Pferden passiert, und keinen Gedanken an ihr Leid zu verschwenden. Unsere Aufgabe ist es, die Aufmerksamkeit der Menschen genau darauf zu richten und sie zum Nachdenken zu bringen. Es ist nicht unser Ziel, uns beliebt zu machen.“ Und doch ist PETA USA heute die größte und effektivste Tierrechtsorganisation der Welt.

Was Sie tun können

Hat Ingrid Sie inspiriert? Dann treten Sie doch PETAs Aktivennetzwerk bei und erfahren Sie mehr darüber, wie Sie den Tieren helfen können und welche Veranstaltungen in Ihrer Nähe stattfinden.