Seit Kriegsbeginn sind wir von PETA Deutschland in der Ukraine, um dort gemeinsam mit befreundeten Hilfsorganisationen möglichst vielen Tieren in Not zu helfen. Der Fokus liegt dabei auf der Lieferung von Tiernahrung und der Rettung von Hunden und Katzen. Doch in den Krisengebieten sind auch andere Tiere auf Hilfe angewiesen – so erreichte uns Anfang Oktober 2022 ein Hilferuf, bei der Evakuierung zweier Pferde behilflich zu sein.
Gemeinsam mit der Moderatorin und Aktivistin Victoria Müller hat unser Einsatz-Team mit befreundeten Helfer:innen die Stuten in Sicherheit gebracht.
Für den Schlachthof „aussortiert“: Verstörte, geschwächte und verletzte Pferde aus der Ukraine gerettet
Der ukrainische Lebenshof Shelter Ugoleok bat im Juni öffentlich um Hilfe, damit zwei Stuten gerettet werden können: Die beiden Pferde stammen aus einem Zuchtbetrieb in Lviv und wurden ihr Leben lang ausgebeutet, um Fohlen zur Welt zu bringen, die dann für viel Geld verkauft wurden. Zu Kriegsbeginn wollte der Betrieb die beiden Stuten möglichst schnell loswerden: Wenn sich kein neues Zuhause für die 14-jährige hellbraune Kabia und die 9-jährige dunkelbraune Argentina finden würde, sollten sie im Schlachthof getötet werden.
Für die Züchter:innen waren ihr Alter und Gesundheitszustand ohnehin Gründe, die beiden „auszurangieren“ – hinzu kamen dann die unvorhersehbaren Auswirkungen des Krieges.
Der Verein ddao Tierschutz aus Berlin von PETA-Unterstützerin Victoria Müller nahm Kontakt zu uns auf – und gemeinsam planten wir die Rettung der Tiere.
Die Gefahren und Gegebenheiten des Krieges verlangten viel Planung
Die Notlösung sah so aus, dass die beiden Stuten zu einem bereits überfüllten Hof in Dnipro gebracht werden, der unter starkem Beschuss stand. Dies wäre keine sichere Lösung gewesen – wir schmiedeten daher einen umfassenden Rettungsplan.
Unsere Recherche ergab, dass ein weiterer angedachter Hof in Deutschland die Pferde weiterverkaufen könnte – auch an Reitbetriebe. Daher stand für uns außer Frage, Kabia und Argentina dorthin zu bringen. Wir überlegten uns also zwei Alternativen:
- Plan A: Die Pferde auf einen schönen Gutshof in Ungarn bringen, auf dem auch unsere evakuierten Hunde vorübergehend untergebracht sind. Hier leben bereits Pferde.
Die Unterlagen, die für den Grenzübergang notwendig sind, sind aufwändig zu beschaffen und müssen mehrsprachig vorliegen: Bluttests der Pferde und Impfungen müssen aktuell sein, Gesundheits- und Quarantänezeugnisse vorliegen, die Pferde müssen gechipt sein und einen Pass haben und extra Formulare für den Grenzübertritt müssen von Amtsveterinär:innen beider betroffener Länder ausgefüllt werden. Ein aufwändiges, aber umsetzbares Vorgehen. Unser Team organisierte sämtliche Unterlagen und einen Pferdeanhänger für die beiden Stuten, um damit die fünfstündige Fahrt durch die Karpaten zurückzulegen. Doch schließlich wurde klar – das Unternehmen ist zu riskant.
- Daher lief Plan B an: Wir fragten unsere Freund:innen von Pro Animale für Tiere in Not e.V. an, ob wir die beiden Pferde auf ihrem Lebenshof in Polen unterbringen können, wo sie ein artgerechtes Leben in einer Herde in Freiheit, und doch betreut, führen können.
Zunächst reiste unser Team von Ungarn nach Lviv – um vor Ort alles in die Wege zu leiten. Nach einer verregneten Fahrt durch die Karpaten wurde unser Einsatz-Team an einem Check Point vor der Stadt detailliert zu dem Vorhaben befragt. Schließlich wurden unsere Helfer:innen durchgelassen.
Die Stuten waren in einem besorgniserregenden Zustand
Bei der ersten Begegnung mit Argentina und Kabia war unser Team schockiert: Die beiden Pferde waren sehr mager, besonders Argentina zeigte ein gestörtes Verhalten, vermutlich bedingt durch die lange Haltung allein in der Pferdebox auf dem Betrieb, auf dem sie untergebracht waren. Sie „webte“ ihren Kopf hin und her, zeigte aggressives Verhalten gegenüber den Pferden in der Nachbarbox. Kabia hatte offenbar geschwollene Fesselgelenke.
Es war offensichtlich: Die Pferde müssen so schnell wie möglich hier raus und pferdegerecht untergebracht werden. Doch der geplante Transport wäre für die beiden Tiere zu gefährlich gewesen. Daher wurde die Ausreise nach Polen neu geplant und ein professioneller Pferdetransporteur hinzugezogen.
Russischer Raketenangriff verzögerte die Rettung erneut – ein dritter Plan musste her
Kurz bevor die beiden Pferde endlich in Sicherheit gebracht werden sollten, wurden in der Nacht zuvor jedoch mehrere Regionen in der Ukraine mit russischen Raketen beschossen – darunter auch Lviv.
Allen Beteiligten blieb nichts anderes übrig, als in Angst auszuharren. Sogar die Tierärztin saß mit unserem Team ohne Strom im Luftschutzraum fest. Den ganzen Tag über tauschten sich unsere Helfer:innen mit Freund:innen in der gesamten Ukraine aus – es ging allen gut, doch man erwartete weitere Einschläge im Laufe des Tages.
Zwischenzeitlich hatte der organisierte Pferdetransporteur aus Polen mitgeteilt, er traue sich nicht mehr nach Lviv. Es musste ein neuer Plan gefasst werden: Unsere Tierärztin aus Lviv organisierte daher einen Transport bis zur polnischen Grenze, wo der polnische Transporteur die Pferde übernehmen und endlich in ihr neues, sicheres Zuhause bringen sollte.
Weitere Komplikationen: Ausreise verzögerte sich erneut
Nach rund zwei Wochen war es endlich so weit: Am Morgen des 19. Oktober wurden die beiden Stuten Argentina und Kabia in Lviv in den professionellen Pferdetransporter eingeladen und zur polnischen Grenze gebracht.
Sie erreichten den Grenzübergang glücklicherweise ohne Zwischenfälle wenige Stunden später. Doch unerwartet kam es erneut zu Schwierigkeiten:
- An der ukrainischen Grenze gab es technische Probleme, weshalb die beiden noch in dem Transporter ausharren mussten.
- Schließlich machte der Amtsveterinär an der polnischen Grenze Feierabend – unser Team und die beiden Pferde mussten bis zum nächsten Morgen warten. Der professionelle Transporteur Marek hatte mit ausreichend Trinkwasser und Heu vorgesorgt, sodass es sich die beiden Pferdedamen gemütlich machen konnten.
Am frühen Morgen war es dann endlich so weit: Der Amtsveterinär schaute sich alle umfänglichen Papiere an, begutachtete die beiden Stuten – und genehmigte die Weiterreise in die sichere EU.
Insgesamt machten Kabia und Argentina bereits während des Transports einen viel ausgeglicheneren Eindruck – nicht vergleichbar mit dem Anblick bei der ersten Begegnung in dem Stall in Lviv. Pferde sind Herdentiere und benötigen Bewegung und selbstbestimmten Kontakt zu Artgenossen. All ihre natürlichen Bedürfnisse wurden Kabia und Argentina in der Ukraine in den letzten Monaten verwehrt.
Endlich in Sicherheit: Kabia und Argentina können nun ein pferdegerechtes Leben führen
Nach wenigen Stunden Fahrt erreichten unsere Helfer:innen mit den beiden Pferden den Lebenshof in Polen, auf dem die Stuten mit vielen anderen geretteten Pferden nun ein artgerechtes Leben führen dürfen. Der dortige Amtsveterinär nahm die beiden in Empfang – endlich lief alles problemlos.
Nach einer kurzen Quarantänezeit werden sie in die Herde integriert und können dann ein friedliches und weitgehend selbstbestimmtes Leben mit ausreichend Bewegung führen. Sie werden nicht mehr gezwungen, fast durchgehend Babys zu gebären, die ihnen nach kurzer Zeit weggenommen werden. Sie fristen kein qualvolles Dasein in Einzelhaltung in Boxen, sondern haben Kontakt zu Artgenossen, ausreichend Nahrung und werden auch darüber hinaus liebevoll versorgt.
Auf dem Hof unserer Freund:innen von Pro Animale für Tiere in Not e.V. leben Pferde, die vor den grausamen Langstreckentransporten zu südeuropäischen Schlachthäusern gerettet wurden. Dort leben neben diesen ausrangierten sogenannten Reitpferden auch viele andere Vierbeiner und gefiederte Tiere.
Wir sind unendlich dankbar, dass Pro Animale uns bei der Rettung der beiden Pferdedamen geholfen hat und und wir den beiden endlich das Leben bieten, das jedes Pferd verdient hat.
Helfen Sie Tieren in Not: So können Sie unseren Ukraine-Einsatz unterstützen
Die dramatische Rettung der Stuten Kabia und Argentina zeigt eindrucksvoll, wie kompliziert die Hilfsaktionen in der Ukraine sind: Egal, wie gut unsere Einsätze geplant sind – die unvorhersehbaren Gegebenheiten des Krieges können uns jederzeit zum Umplanen zwingen.
Wenn Sie unseren Einsatz für notleidende Tiere in der Ukraine zielgerichtet mit einer Spende unterstützen möchten, ist das im Rahmen von PETAs Compassion Fund unter folgendem Link möglich: