Pferdesprache: So erkennen Sie Stress und Schmerzen

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Pferde sind sensible Herdentiere, die in komplexen sozialen Strukturen leben. Sie haben eine ausgeprägte „Pferdesprache“, die vor allem über subtile Körpersprache und Gesichtsausdrücke funktioniert. Leider verstehen viele Menschen ihre Körpersprache nicht – Stress, Angst und sogar Schmerzen bleiben dann oft unbemerkt.

Wie können wir Pferde besser verstehen? Hier erfahren Sie, weshalb oft übersehen wird, wenn es Pferden nicht gut geht, wie Pferde Stress und Schmerzen äußern – und wie Sie ein Pferd beruhigen können.

Inhalte im Überblick

Pferdesprache lernen: So kommunizieren Sie mit Pferden

Als hochsoziale Wesen sind Pferde Menschen gegenüber meist neugierig und offen dafür, mit ihnen in Austausch zu treten. Da wir dieselben Emotionen teilen und Pferde auch sehr sensibel für unsere Körpersprache und Mimik sind, können wir eine feine Kommunikation aufbauen. Das Verhalten ist immer auch im Ganzen zu betrachten – zu beobachten ist also der Zusammenhang, in welchem das Verhalten auftritt und der Hintergrund:

  • Achten Sie auf die Ohrstellung: Pferde kommunizieren viel durch die Position ihrer Ohren – nach vorne gerichtete Ohren zeigen Interesse, während angespannte und zurückgelegte Ohren Unbehagen oder Ärger signalisieren können.
  • Beobachten Sie die Augen: Ein entspannter Gesichtsausdruck und weiche Augenlider deuten auf Zufriedenheit hin, während geweitete Augen Aufregung oder Angst anzeigen können.
  • Achten Sie auf die Körperhaltung: Ein gleichmäßig verteiltes Gewicht zeigt Gelassenheit an, während ein angespanntes oder steifes Auftreten auf Nervosität, Schmerzen oder Unbehagen hindeuten kann.
  • Achten Sie auf die Schweifbewegungen: Ein locker schwingender Schweif zeigt Entspannung, während ein hektisches Schlagen oder Klemmen des Schweifs auf Stress, Schmerz oder Unwohlsein hinweist.
  • Kauen und Lecken zeigen oft, dass das Pferd sich entspannt oder bereit ist, sich neuen Informationen zu öffnen.

Seien Sie geduldig, freundlich und konsequent:

  • Eine klare, konsistente Kommunikation hilft dem Pferd, Ihre Signale besser zu verstehen und darauf zu reagieren. Einen freundlichen, ruhigen, klaren und positiven Umgangston erkennen die Pferde.
  • Wiederholtes Üben und täglicher Umgang stärken die Kommunikation und das Vertrauen zwischen Ihnen und Ihrem Pferd.
  • Betrachten Sie immer die Gesamtheit der Signale eines Pferdes, um ein vollständiges Bild seines emotionalen und physischen Zustands zu erhalten.

Respektieren Sie den individuellen Charakter und die Persönlichkeit jedes Pferdes, um Vertrauen und eine positive Beziehung zu fördern.

Pferde leiden stumm: So erkennen Sie Stress und Schmerzen

Pferde können Schmerzen nicht akustisch äußern, denn sie haben keinen Schmerzlaut – sie leiden meist still. Das bedeutet, dass Stress und Schmerzen bei Pferden für Menschen oft nicht auf den ersten Blick ersichtlich sind. Dazu gibt es ein treffendes Zitat: „Wenn Pferde schreien könnten, wären die Turnierplätze leer.“ [1]

pferd rollkur
Pferde leiden still.

Stress und Schmerzen: Wie zeigt sich Stress beim Pferd? Woran erkennen Sie Schmerzen?

Um Stress und Schmerzen bei Pferden wahrzunehmen, muss man einen genauen Blick auf ihre Körpersprache und vor allem ihre Mimik werfen. Leider nehmen laut einer Studie von 2019 oft nicht einmal langjährige Pferdehalter:innen oder „Profis“ Stress- und Schmerzanzeichen bei Pferden wahr. [2]

Was machen Pferde, wenn Sie Schmerzen haben?

Doch wie erkennt man nun, ob ein Pferd Schmerzen oder Angst empfindet oder sich schlichtweg unwohl oder überfordert fühlt? Vor allem die Mimik gibt hierzu wichtige Informationen – doch es braucht etwas Übung, um dies auch zu erkennen.

Symptome für Schmerzen erkennen – darauf müssen Sie achten

Eine Gruppe europäischer Wissenschaftler:innen hat ein Bewertungssystem entwickelt, das es ermöglicht, den „Schmerzzustand“ eines Pferdes möglichst zuverlässig zu bestimmen. Die sogenannte „Horse Grimace Scale“ umfasst folgende Merkmale des „Schmerzgesichts“ von Pferden: [3]

  • steif rückwärtsgerichtete Ohren
  • zusammengezogene Augen
  • angespannte obere Augen-Region
  • angespannte Kaumuskulatur
  • angespannte Mundpartie, akzentuiertes Kinn
  • angespannte Nüstern und flaches Profil
pferd
Pferde zeigen Schmerzen durch bestimmte körperliche Merkmale.

Wie äußert sich Stress bei Pferden?

In Stresssituationen werden häufig sogenannte Beschwichtigungssignale, auch bekannt als „calming signals“, gezeigt – je besser man auf diese Signale achtet, desto leichter fällt es, den Umgang auch für das Pferd angenehm zu gestalten. [4] Oft werden diese Signale – wie ein Abwenden des Kopfes oder vermehrtes Kauen oder Gähnen – jedoch vom Menschen gar nicht erst wahrgenommen oder fehlinterpretiert. Signale für Unwohlsein oder Stress sind beispielsweise

  • heftiges Schweifschlagen
  • Kopfschlagen 
  • oder im schlimmsten Fall deutliche Abwehrreaktionen.

Reagiert ein Pferd so heftig, ist davon auszugehen, dass zuvor Stresssignale übersehen und ignoriert wurden. Es kann jedoch auch sein, dass sich ein Pferd komplett zurückzieht und apathisch alles über sich ergehen lässt, beispielsweise wenn es sich in einer erlernten Hilflosigkeit befindet.

wildpferde werden gefangen
Zeigen Pferde deutliche Abwehrreaktionen, wurden ihre Stresssignale übersehen.

Nach den Regeln der internationalen Dachorganisation des Pferdesports FEI sollen Dressurrichter:innen als Hauptziel den „happy athlete“ bewerten, also das Pferd als zufriedenen, freudigen Sportler. Wenn jedoch Anzeichen von Stress und Schmerz gar nicht wahrgenommen und negative Gemütszustände sogar als positive fehlinterpretiert werden, ist das Konzept des Pferdes als „happy athlete“ völlig hinfällig. [2]

Wie beruhigt man ein Pferd?

Wenn ein Pferd Stress oder Schmerzen äußert oder sogar Abwehrverhalten zeigt, ist es wichtig, zu versuchen, das Pferd zu verstehen und die Ursache zu finden. Jedes Verhalten hat einen Grund. Kein Pferd tut nur so, als hätte es Schmerzen, Stress oder Angst – und je mehr Druck man in einer solchen Situation aufbaut oder wenn man das Pferd sogar bestraft, desto schlimmer wird die Situation für das Pferd.

  • Oft hilft es schon, ein paar Mal tief durchzuatmen und sich selbst zu beruhigen – Pferde spüren sehr deutlich, wie wir uns fühlen.
  • Wenn das Pferd vor etwas Angst hat, braucht es vielleicht erst einmal etwas Abstand und die Möglichkeit, sich alles in Ruhe anzusehen.
  • Ist ein Pferd sehr aufgeregt, wird vielleicht gerade zu viel von ihm verlangt – vielleicht kann man es an einem anderen Tag in kleineren Schritten und mit viel Lob versuchen.
  • Nutzen Sie Ihre Stimme: Sanfte, ruhige Töne können beruhigend wirken.
  • Sanfte Streicheleinheiten und ruhige Handbewegungen können Vertrauen und Nähe fördern.
  • Gönnen Sie sich und dem Pferd Pausen: Pferde benötigen oft Zeit, um neue Informationen zu verarbeiten. Geben Sie ihnen regelmäßig Pausen, um Überforderung zu vermeiden.

Bei Verdacht auf Schmerzen sollte ein Pferd tiermedizinisch untersucht werden – viele Pferde leiden aufgrund von Arthrose, Magengeschwüren oder Rückenproblemen unter chronischen Schmerzen.

Sind Pferde „Nutztiere“ oder „Haustiere“?

Der Mensch kategorisiert Tiere, je nachdem welchen „Zweck“ sie für ihn erfüllen. Die Tiere werden dabei aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten Spezies diskriminiert. Diese Unterdrückungsform nennt man Speziesismus.

Pferde nehmen gegenüber anderen domestizierten Tieren diesbezüglich eine Sonderrolle ein. Ursprünglich wurden sie vor allem als sogenannte Nutztiere gehalten und als Transportmittel, Fleischlieferant, in der Landwirtschaft oder in Kriegen ausgebeutet. Heutzutage werden Pferde eher als „Haustiere“ gesehen. Leider bedeutet das nicht automatisch, dass es ihnen gut geht – denn nach wie vor werden sie oft ausgebeutet, beispielsweise zur Unterhaltung oder als Sportgeräte.

„Pferdesport“: Pferde werden oft gewaltsam statt respektvoll behandelt

Menschen verlangen Pferden im sogenannten Reitsport viel ab, was mit negativen Erfahrungen für die Pferde verbunden ist: Hätten Pferde die Wahl, würden sie niemals einen gefährlichen Parcours absolvieren wollen, an Wettrennen teilnehmen, bei denen sie stürzen und sich die Beine brechen können, oder in einer lauten und engen Manege auftreten. Doch wie bringen Menschen die sensiblen Tiere dazu, all diese Dinge zu tun? Schließlich sind Pferde um ein Vielfaches stärker.

Leider ist es weit verbreitet und gesellschaftlich akzeptiert, dass Pferde mit Druck und Dominanz trainiert werden und nicht ausreichend auf ihre Bedürfnisse geachtet wird.

Zugrunde liegt häufig die Lernerfahrung des Pferdes, dass es keine Wahl hat – auch bezeichnet als erlernte Hilflosigkeit. Die Anatomie des Pferdes bedingt, dass durch relativ wenig Zug an seinem Kopf die Biegung der Wirbelsäule so beeinflusst wird, dass die Hinterbeine als „Vorwärtsantrieb“ des Tieres „ausgeschaltet“ werden – das Pferd kann nicht mehr weglaufen. Durch diese Konditionierung entwickelt das Pferd eine erlernte Hilflosigkeit gegenüber Zugeinwirkung am Kopf: Ein Mensch kann das Pferd so in allen möglichen Situationen kontrollieren, aus denen es sonst fliehen würde. [5]

Besonders zeigt sich diese Problematik beim Reitsport: Bei einer wissenschaftlichen Auswertung des internationalen Reitturniers CHIO Aachen 2018 zeigten mehr als ein Drittel der Pferde über 150 Stresssignale. Oft wurden die Pferde in schädlicher Kopf-Hals-Haltung geritten. [6] Zudem ist es fraglich, ob das bloße Fehlen von Abwehrverhalten oder Stresssignalen schon ein ausreichendes Indiz dafür ist, dass ein Pferd als „glücklich“ bezeichnet werden kann.

Respekt und Mitgefühl: Kontakt auf Augenhöhe

Glücklicherweise geht es jedoch auch anders: indem man Pferden auf Augenhöhe begegnet und mit Einfühlungsvermögen und Geduld ein positives Miteinander gestaltet.

frau und pferd
Um Pferden auf AUgenhöhe zu begegnen eignen sich ausgedehnte Spaziergänge oder gemeinsame Übungen am Boden wie Balance- und Körperübungen.

Wie zeigen Pferde, dass sie einen mögen? 10 Anzeichen für eine gute Beziehung

Pferde zeigen Sympathie auf verschiedene Arten. Anzeichen für eine positive Beziehung sind unter anderen:

  1. Nähe suchen: Ein Pferd, das Sie mag, wird Ihre Nähe suchen, freiwillig zu Ihnen kommen und bleiben, auch wenn es nicht angeleint ist.
  2. Entspannung in Ihrer Gegenwart: Ein entspanntes Pferd zeigt, dass es sich bei Ihnen wohlfühlt – beispielsweise durch einen gesenkten Kopf, weiche Augen und entspannte Ohren.
  3. Sanfte Berührungen: Pferde zeigen Zuneigung oft durch sanftes Stupsen mit der Nase oder das Anlehnen an Menschen. Teilweise knabbern sie sanft an Kleidung oder Haaren von Menschen, die ihnen nahestehen. Pferde, die einander mögen, pflegen sich gegenseitig – so könnte ein Pferd, das Sie mag, Sie mit den Lippen kraulen oder sanft „anknabbern“.
  4. Lippen lecken und kauen: Wenn ein Pferd in Ihrer Nähe oft seine Lippen leckt und kaut, deutet das auf Entspannung und Akzeptanz hin.
  5. Ohren auf Sie gerichtet: Pferde kommunizieren viel über ihre Ohren; richtet ein Pferd seine Ohren auf Sie, zeigt es Interesse und Aufmerksamkeit an Ihnen.
  6. Augenkontakt: Ein Pferd, das Ihnen vertraut, wird Ihnen in die Augen schauen und dabei einen weichen, freundlichen Blick haben.
  7. Folgebereitschaft: Ein Pferd, das Ihnen vertraut, folgt Ihnen freiwillig – auch ohne Strick oder Halfter.
  8. Entspannter Schwanz: Ein locker hängender oder sanft schwingender Schweif zeigt, dass das Pferd entspannt und zufrieden ist.
  9. Laute der Zufriedenheit: Einige Pferde geben sanfte, leise Geräusche von sich, wie ein Brummeln oder Schnauben, wenn sie glücklich und entspannt sind.
  10. Aufmerksamkeit und Reaktionsfreude: Freut sich ein Pferd über Ihre Anwesenheit, reagiert es aufmerksam auf Ihre Handlungen und Kommandos. Es wird interessiert sein und bereitwillig mit Ihnen interagieren.

Bei vielen „Pferdemenschen“ setzt bereits ein Umdenken ein, und sie begegnen den sensiblen Tieren auf Augenhöhe und mit Respekt. Doch es gibt noch viel Handlungsbedarf:

Pferde sind nicht dazu da, uns zu unterhalten. Wie alle anderen Tiere haben sie das Recht auf ein unversehrtes Leben – und es ist unsere Pflicht, sicherzustellen, dass sie in unserer Obhut ein art- und tiergerechtes Leben führen können.

So können Sie helfen, das stille Leid der Pferde zu beenden

Achten Sie auf die Bedürfnisse Ihrer Schützlinge und gehen Sie so mit Ihnen um, dass Sie jederzeit mit einem guten Gefühl die Rollen tauschen würden. Zögern Sie nicht, sich im Zweifel Unterstützung von professionellen Verhaltensexpert:innen zu holen, die mit positiver Verstärkung und nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen arbeiten.

Besuchen Sie keine sogenannten Pferdesportveranstaltungen. Wenden Sie sich an uns, wenn Sie Zeug:in von Tierquälerei an Pferden werden.

Bitte helfen Sie den im Reitsport missbrauchten Pferden, indem Sie das Olympische Komitee auffordern, alle „Pferdesportveranstaltungen“ aus dem Programm zu streichen.