95 Prozent der neuen Medikamente, die im Tierversuch für wirksam und sicher befunden wurden, kommen niemals auf den Markt. [1] Das zeigt: Tierversuche sind nicht nur unethisch, sondern auch aus wissenschaftlichen Gründen nicht sinnvoll.
Wieso Tierversuche noch immer stattfinden, obwohl die Ergebnisse aus den oft qualvollen Experimenten meist nicht auf den Menschen übertragbar sind und weshalb genau das problematisch ist, erfahren Sie in diesem Beitrag.
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Wie funktioniert die Zulassung eines neuen Medikaments?
Insgesamt dauert es im Schnitt mehr als 13 Jahre, bis ein Medikament auf den Markt kommt. [2] Ein Schritt auf dem Weg zur Zulassung eines neuen Medikaments ist die präklinische Prüfung neuer Wirkstoffe, die in Tierversuchen erfolgt. Hier wird vor allem die Giftigkeit (Toxizität) getestet, also inwiefern der Wirkstoff ein Sicherheitsrisiko für den Menschen darstellen könnte. Das Problem: Anhand von Ergebnissen aus Tierversuchen lassen sich keine verlässlichen Aussagen für den Menschen treffen. Mindestens 30 Prozent der toxischen Effekte, die beim Menschen auftreten, werden durch die Tierversuche nicht vorhergesagt. [3]
Auf die Testphase mit Experimenten an Tieren folgen sogenannte klinische Studien an menschlichen Proband:innen. Diese sind unterteilt in Phase I (bzw. 0) bis Phase IV. Zu Beginn in Phase I, sprich, wenn es außer Ergebnissen aus Tierversuchen noch keine weiteren Erkenntnisse über die Wirkungsweise auf Menschen gibt, werden nur sehr wenige Personen mit einer sehr geringen Dosis getestet. Grund dafür ist, dass die vorhergehenden Experimente an Tieren keine Garantie für die Verträglichkeit und Sicherheit eines Wirkstoffes beim Menschen geben.
Somit wird gewissermaßen jeder neue Wirkstoff „am Menschen getestet“. Viele Wirkstoffe werden auch in späteren klinischen Phasen aussortiert, beispielsweise, weil erst in der breiten Anwendung seltene Nebenwirkungen entdeckt werden.
Welches Risiko bergen Tierversuche?
Als Säugetiere teilen wir viele Eigenschaften bezüglich Körperbau oder physiologischer Vorgänge mit Verwandten wie Mäusen, Ratten und weiteren Tierarten. Dennoch unterscheiden sich viele Punkte. Ein kleines Detail im Stoffwechsel reicht aus, um eine komplett unterschiedliche Reaktion auf eine bestimmte Substanz zu bewirken. Selbst zwischen Tieren derselben Art gibt es oft gravierende Unterschiede. Ergebnisse aus Tierversuchen lassen sich bei einer Wiederholung des Experiments oft kaum noch einmal erzeugen. [4] Inzwischen weiß man sogar, dass selbst Frau und Mann ganz unterschiedlich auf medizinische Wirkstoffe reagieren. [5]
Zwei Beispiele dafür, dass Medikamente bei anderen Tierarten und Menschen unterschiedlich wirken:
- Beispiel 1: Jahrelang wurde die Giftigkeit von Asbest auf der Basis von Tierversuchen geleugnet. Grund dafür ist, dass Tiere viel mehr davon vertragen als Menschen – Ratten beispielsweise die 300-fache Dosis. [6]
- Beispiel 2: Nur die Hälfte der Stoffe, die bei menschlichen Embryonen Fehlbildungen hervorrufen, sind für zumindest eine von mehreren Affenarten ebenfalls schädlich. [7]
Ein weiteres Beispiel für die großen Unterschiede zwischen Maus und Mensch ist Aspirin. Während es bei Mäusen (und übrigens auch einigen anderen Tierarten) zu erheblichen embryonalen Missbildungen führt, zählt das Schmerzmittel für uns Menschen zu den meistverkauften Standardmedikamenten – und stellt für Schwangere und Ungeborene keine Gefahr dar.
Genau anders herum sieht die Sache bei der großen Pharmakatastrophe um Contergan aus: Während die Verabreichung an schwangere Mäuse keine Probleme verursacht, hat das Medikament in den 1960er-Jahren zu tausendfachen Missbildungen an menschlichen Neugeborenen geführt.
Tiere und Menschen können also komplett unterschiedlich auf Wirkstoffe und Medikamente reagieren – und das hier sind nur ein paar Beispiele von vielen.
Das Fazit: Tierversuche finden ganz einfach im falschen Organismus statt. Politik und Wissenschaft sind gefragt, um Alternativen, die für den Menschen relevante Ergebnisse liefern, weiterzuentwickeln und zu etablieren. Damit können Tierversuche als einer der ersten Schritte beim Testen neuer Medikamente in der breiten Anwendung ersetzt werden.
Warum passieren nicht viel häufiger Pharmakatastrophen?
Pharmaskandale (siehe Contergan, TGN1412 oder Viagra) sind „nur“ alle paar Jahre in den Nachrichten. Ein Grund dafür ist, dass es nach dem Tierversuch genügend Auffangnetze gibt, um Katastrophen zu verhindern – denn der Tierversuch selbst bietet keinerlei Sicherheit. So werden neuartige Testsubstanzen üblicherweise nicht mehreren Personen gleichzeitig verabreicht, sondern mit der niedrigsten Dosis zunächst die Reaktion eines ersten Proband:innen abgewartet: eine Empfehlung der Europäischen Arzneimittelbehörde. [8]
Außerdem wurde die Anfangsdosis, die Testpersonen verabreicht wird, reduziert: Sie soll sich an der Konzentration orientieren, bei der gerade noch ein messbarer Effekt zu erwarten ist, anstatt sich wie vorher an der Konzentration zu orientieren, die in Tierversuchen keine Nebenwirkungen hervorgebracht hat. [9] Das verdeutlicht, dass eine schädliche Wirkung beim Menschen nicht anhand von Tierversuchen ausgeschlossen werden kann.
Der geringe Prozentsatz an Medikamenten, der es bis zur Markteinführung schafft, spiegelt das Grundproblem des Tierversuchs auch ohne tägliche Katastrophen wider: Eine sichere Übertragbarkeit der Ergebnisse ist schlichtweg nicht gegeben.
Helfen Sie, Tierversuche zu beenden
Helfen Sie uns dabei, grausame Experimente an Tieren zu beenden und unterstützen Sie unser Strategiepapier für den Ausstieg aus Tierversuchen. Darin zeigen wir einen detaillierten Plan auf, wie moderne und effektive Forschung ohne Tierversuche etabliert werden kann.
Tierversuche lassen sich nicht zuverlässig auf den Menschen übertragen und sind somit nicht nur moralisch falsch, sondern auch sinnlos. Mit Ihrer Unterschrift können Sie den Tieren helfen!
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Quellen
[1] National Center for Advancing Translational Sciences (NCATS): About NCATS, https://ncats.nih.gov/about (eingesehen am 15.07.2022)
[2] Die forschenden Pharmaunternehmen (07.02.2018): So entsteht ein neues Medikament, https://www.vfa.de/de/arzneimittel-forschung/so-funktioniert-pharmaforschung/so-entsteht-ein-medikament.html (eingesehen am 15.07.2022)
[3] Greaves, P., Williams A., Eve M., 2004: First dose of potential new medicines to humans: how animals help. Nature Reviews Drug Discovery, vol. 3, pp. 226–236.
[4] Video, WIST-Kongress (2016): Prof. Thomas Hartung: Der Mensch ist keine 70-kg-Ratte – Die Validität von Tierversuchen, https://www.youtube.com/watch?v=jeQ58UZdx8k (eingesehen am 15.07.2022)
[5] Quarks (03.01.2022): Warum Frauen medizinisch benachteiligt sind, https://www.quarks.de/gesundheit/medizin/warum-frauen-medizinisch-benachteiligt-sind/ (eingesehen am 15.07.2022)
[6] BGN Branchenwissen: Übertragung tierexperimenteller Daten auf den Menschen, https://www.bgn-branchenwissen.de/daten/tr/trgs910/anl3_4.htm (eingesehen am 15.07.2022)
[7] Greek, R. et al., 2011: The History and Implications of Testing Thalidomide on Animals. The Journal of Philosophy, Science & Law, vol. 11, issue 3, pp. 1-32.
[8] Gen-ethisches Netzwerk e.V. (Oktober 2007): Richtlinie ohne Richtungswechsel: Die EMEA will die Sicherheit bei frühen klinischen Studien erhöhen, https://www.gen-ethisches-netzwerk.de/richtlinie-ohne-richtungswechsel (eingesehen am 15.07.2022)
[9] EMEA Europäische Arzneimittelbehörde (20.07.2007): Guideline On strategies to identify and mitigate risks for first-in-human clinical trials with investigational medicinal products, https://www.ema.europa.eu/en/documents/scientific-guideline/guideline-strategies-identify-mitigate-risks-first-human-early-clinical-trials-investigational_en.pdf (eingesehen am 15.07.2022)